5:00 Sonntagmorgen, es war noch stockdunkel, im Schein der Straßenbeleuchtung sah ich aus meinem Hotelfenster die Pfützen und den kräftigen Regen. Das war aber nicht das Schlimmste- viel schlimmer war es, mich aus dem Bett zu zwingen, aufzustehen, duschen und zum Frühstück zu gehen. Als ich das geschafft hatte war für mich der schwierigste Teil des Ötztaler Radmarathon 2013 eigentlich schon gelaufen.
Ich wollte nicht ein weiteres Mal meinen Startplatz für den Ötzi verfallen lassen und wieder nicht an den Start gehen.
Ich stand also tatsächlich um 6:30 im strömenden Regen auf der Dorfstraße in Sölden und wartete mit vielen anderen Radfahrern auf den Startschuß. Die meisten Teilnehmer hatten natürlich die komplette Regenkleidung gewählt, ich sah aber auch Fahrer die nur ein Trikot mit Armlingen und eine 3/4 oder gar eine kurze Hose angezogen hatten. Verrückt.
Ich hatte geplant bis zum Kühtai zu fahren um dann schauen ob ich auf der anderen Seite auch wieder herunter komme. Ich bin schon bei Trockenheit ein schlechter Abfahrer und bei Nässe erst recht.
Um 6:45 ging es los. Den Regen blendete ich zunächst mal aus.
Auf dem Weg nach Oetz, es ging ständig bergab, wunderte ich mich über das ausgedünnte Feld. Sonst drängte sich zu Anfang ein endloser Heerwurm von Radfahrer das Tal hinunter. Diesmal fuhren die Teilnehmer sogar Reihe, es gab Lücken und viele kleine Gruppen bildeten sich.
Dunkle tiefhängende Wolken versperrten den Blick auf die Berge. Der kräftige Regen und das Spritzwasser der Räder erschwerte die Sicht.
In Oetz begann der Anstieg zum Kühtai. Ich fand schnell meinen Rhythmus und entspannt ging es in die ersten steilen Rampen.
Ich sah Walburga W. vom RSC Kettwig. Für meinen Geschmack war auch sie viel zu dünn angezogen. Wir wünschten uns gute Fahrt.
Ich öffnete die Reisverschlüsse meiner Regenjacke, der Windjacke und dem langärmligen Trikot damit ich nicht zu stark schwitzte und die Luft besser zirkulieren konnte. Bis der Stausee erreicht war hatte ich meine Bekleidung nach und nach wieder Lage für Lage geschlossen.
Oben waren es nämlich nur noch 3°C und der Dauerregen schien immer kräftiger zu werden. So sieht also ein Spätsommertag in den Alpen aus…
Dann ging es in die gefürchtete Abfahrt. Die Hände an der Bremse tastete ich mich die ersten Meter hinunter. Als das Gefälle steiler wurde mußte ich immer kräftiger an den Hebeln ziehen. Es war ein blödes Gefühl als nix passierte und ich nicht langsamer wurde.
Trotzdem konnte ich irgendwie immer rechtzeitig vor den Kurven abbremsen. Ich hatte mir zur Sicherheit (oder Beruhigung), 25er Reifen montiert und bildete mir ein damit mehr Grip in den Kurven zu haben.
Es war ein Eiertanz. Ich verkrampfte, mein Nacken wurde steif- eigentlich hätte ich mir vor Angst in die Hose scheissen müssen. Ständig wurde ich von schnelleren Radfahrern überholt. Die meisten Teilnehmer waren rücksichtsvoll, es gab aber auch Idioten die unbedingt rechts knapp am Straßenrand überholen mussten.
Zum Glück wurde mir nicht besonders kalt. Unter meinen Billighandschuhen von Decathlon hatte ich noch Einweggummihandschuhe gezogen. Ich hatte nie kalte Finger.
Im unteren flacheren Teil nahm ich meinen Mut zusammen und ließ das Rad wieder mehr laufen.
Irgendwann erreichte ich tatsächlich Innsbruck. Übervorsichtig, aber es ging! Also fuhr ich weiter. Die nächsten Abfahrten würde ich dann wohl auch irgendwie schaffen?!
Am Brenner suchte ich mir eine passende Gruppe und ziemlich zügig fuhren wir den vermeidlich flachen Pass hinauf.
Am Himmel zeigten sich dann in Richtung Süden die ersten hellen Wolkenlücken. Es hatte auch tatsächlich aufgehört zu regnen. Ich bekam nur noch das Spritzwasser der vor mir fahrenden Teilnehmer ab. Als dann wenig später auch noch blauer Himmel zu sehen war besserte sich meine Stimmung endgültig.
Ich fuhr über die Grenze nach Italien und als ich die Labestation am Brennerpass erreichte schien sogar zum ersten Mal die Sonne!
Ich füllte meine Flaschen und wurde dabei auf ein „Kleiderdepot“ am Ende der Labestation aufmerksam. Ich fragte dort die beiden netten jungen Mädchen, ob ich denn die Möglichkeit hätte Kleidung abzugeben, um sie dann später in Sölden wieder zurück zu bekommen. Das wäre kein Problem. Also gab ich meine Regenjacke ab, die freundlichen Mädels verstauten sie in eine Tüte und beschrifteten sie mit meiner Startnummer. Ein super Service!
Die Abfahrt vom Brenner konnte ich wieder voll fahren. Die Straßen waren fast abgetrocknet und die Sonne setzte sich immer mehr durch. Ein Italiener vor mir zeigte demonstrativ zum Himmel. Jaja, in Italien scheint die Sonne. Ich fuhr auf seine Höhe und sagte. „Italia!“ Wir mußten beide lachen. Auch er war sichtlich froh das der Regen endlich aufgehört hatte.
Ich fühlte mich gut und fuhr den Jaufenpass einen Gang dicker. Ich überholte Rolf d. S. von Sprinter Waltrop. Kurze Unterhaltung, weiter gehts. Als ich die Baumgrenze erreichte konnte ich zum ersten Mal Alpenlandschaft sehen. Keine tiefhängende Wolken versperrte noch den Blick auf die Berge. Ich überholte Ingo T., auch von Sprinter Waltrop. Wir wechselten ein paar Worte als wir kurz vor der Passhöhe die nächste Labe erreichten.
Die Abfahrt vom Jaufenpass ist jedes mal ein Traum. Auf abgesperrten Straßen kann man wie die Radprofis im Fernsehen in den Kurven auf der Ideallinie fahren. Geil!
Leider war der Rausch schon bald vorbei. In St. Leonhard begann der endlose Anstieg zum Timmelsjoch. Zwei Stunden bergauf fahren.
Bei Sonnenschein und 20°C nahm ich die ersten steilen Rampen in Angriff. Dort sah ich auch kurz Marcus H. am Straßenrand stehen. Ich wunderte mich noch darüber, fuhr aber meinen Stiefel weiter. In Moos ging es dann richtig los. (Reimt sich!)
Meine Tritt wurde schwerer und ich wurde den Verdacht nicht los, das sich ein Hungerast ankündigte. Ich bekam die Beine kaum noch rum und mein Kreislauf spielte verrückt. Irgendwie rettete ich mich zur nächsten Labestation in Schönau.
Dort kam mir direkt ein Helfer entgegen, nahm mir mein Rad ab und hang es an die dafür vorgesehene Stange.
Ich konnte mich direkt um meine Trinkflaschen kümmern und stopfte wahllos Käseschnittchen, Kuchen, Salzgebäck, Rosinen und Bananen in mich hinein. Als ich mich auf den Weg machen wollte gab mir der freundliche Helfer mein Rad wieder zurück! Das nenne ich mal Service!
Ich schwang mich in den Sattel und nahm die letzten elf steilen Kilometer in Angriff.
Nach der Pause lief es wieder viel besser.
Kehre um Kehre näherte ich mich dem Tunnel der das Ende des steilen Abschnitts bedeutete. Auf der anderen Seite ging es dann flacher weiter bis die Passhöhe endlich erreicht war.
Die Sonne schien als es in die letzte Abfahrt ging. Zum Glück gab es diesmal nicht den üblichen Gegen- oder Seitenwind und ich konnte relativ entspannt das Rad laufen lassen.
Eine kurze Gegensteigung vor der Mautstation forderte nochmal etwas Krafteinsatz aber dann ging es endgültig hinunter ins Ötztal.
In Sölden bog ich dann unter dem Applaus der zahlreichen Zuschauer in die Zielgerade ein.
Geschafft.
So … endlich habe ich meine 10. Teilnahme beim Ötztaler Radmarathon voll gemacht nachdem ich meinen Startplatz in den letzten Jahren wegen Gesundheit, schlechten Wetters, kein Bock usw. verfallen lassen habe. Da ich kurzfristig an einen Startplatz gekommen bin und ich schon zwei Jahre nicht mehr zum Radfahren in den Alpen war, habe ich die Möglichkeit genutzt und bin noch einmal an den Start gegangen. Damit hatte ich mein Ziel schon erreicht.
Jetzt kann ich meinen Frieden mit dieser Retortenveranstaltung des Tourismusverbandes Ötztal/Sölden schließen.
Geil war es übrigens auch- gerade wegen des Starkregens bis zum Brenner!
Mein Regenjacke habe ich tasächlich in Sölden wieder bekommen!
Eines muß ich zugeben: Die Organisation, das Rundumsorglospaket, das Rahmenprogramm und nicht zuletzt die vielen freundlichen Helfer machen den Ötztaler Radmarathon unerreicht und einzigartig.
Strecke: http://www.endomondo.com/workouts/235796552/4107038