Schon vor zwei Jahren hatte ich an der ersten Austragung dieser Paris-Roubaix-Challenge teilgenommen. Damals war die Veranstaltung erst als Jedermannrennen auf abgesperrten Straßen ausgeschriebn worden. Doch kurz vor dem Termin wurde die Planung über den Haufen geworfen und die Veranstaltung wurde nur noch als Radmarathon ausgefahren. Also kein Rennen, keine abgesperrten Straßen. Trotzdem nutze ich damals die Möglichkeit, einige Pavès einen Tag vor dem Profirennen selbst abzufahren. Leider waren nicht alle bekannten Kopfsteinpflasterpassagen dabei, unter anderem auch nicht der Wald von Arenberg. Außerdem war das Ziel nicht im Radstadion von Roubaix sondern schon nach dem Pavés Carrefour de l’Arbre. Da ich am nächsten Tag die Profis auf dem Kopfsteinpflaster im Arenberg zuschauen wollte, nahm ich trotzdem die lange Anfahrt nach Frankreich in Kauf, um an dieser Notlösung teilzunehmen.
Im vergangen Jahr wurde dann die Challenge schon eine Woche vor dem Profirennen ausgetragen, also am Ronde-Wochenende. Das machte eine erneute Teilnahme natürlich total uninteressant für mich.
In diesem Jahr lag der Termin wieder einen Tag vor den Profirennen.
Die verkürzte 170 km lange Strecke beinhaltete aber alle 53 km Kopsteinpflasterstraßen, und das Ziel war im Velodrome von Roubaix.
Und es wurde sogar ein Bustransfer vom Roubaix zum Startort nach Busigny angeboten. Damit war auch das Begleitwagenproblem + Fahrer hinfällig und vereinfachte die ganze Planung, um Paris-Roubaix insgesamt zum fünften Mal unter die Räder zu nehmen.
Also fuhr ich am Freitagnachmittag mit Tim K. nach Frankreich. Er hatte eine längere Krankheitspause hinter sich und mußte die Ronde letztes Wochenende noch auslassen. Jetzt war er wieder einigermaßen fit und konnte an Paris-Roubaix teilnehmen.
In Roubaix bezogen wir ein Campanile-Hotel in der Innenstadt. Von dort fuhren wir gleich mit den Rädern weiter zum Velodrom, um uns unsere Startunterlagen abzuholen.
Ich nutze bei der Gelegenheit den kostenlosen Service von Mavic um den Schaltzug meines Umwerfers austauschen zu lassen.
Dann ging es wieder auf den Rädern zurück ins Hotel. So konnten wir uns den Weg zum Startort schon mal einprägen. Am nächsten Morgen mußten wir die gleiche Strecke nochmal fahren. Am Radstadion würden nämlich die Shuttlebusse warten, um die Teilnehmer zum Startort nach Busigny zu bringen.
Nach einem Stadtrundgang ging es zeitig ins Bett. Am Samstagmorgen war sehr früh aufstehen angesagt.
Um 4:00 klingelte der Wecker. Nach einem Müslifrühstück fuhren wir in der Kälte dick eingepackt zu den Bussen. Es waren nur 3°C. Auch Nordfrankreich hatte unter einem ungewöhnlich langen Winter zu leiden.
Die Busfahrt dauerte fast ganze zwei Stunden. Ich nutze die Zeit für ein kleines Schläfchen.
Als wir das kleine Dorf Busigny irgendwo in der trostlosen Landschaft der Picardi erreichten, mußten wir aus dem warmen Bus wieder hinaus in die Kälte.
Die Räder wurden in einem großen Anhänger sicher transportiert. Ich nahm mein ca. 15 kg schweres Rennrad unversehrt in Empfang. Ich vertraute wieder auf meinen Stahlrahmen mit 28er Continental FourSeasons auf 36-Loch Felgen. Mit dieser Kombi hatte ich bei vielen Kopftseinklassikern gute Erfahrungen gemacht.
Um kurz vor 8:00 gingen wir auf die Strecke. Schnell fanden wir Anschluß an eine Gruppe und nach nur 14 km Einrollzeit erreichten wir den ersten Pavéabschnitt Troivilles. Die Profis würden 100 km mehr Zeit haben, um sich warm zu fahren.
Ich versuchte gleich auf dem Kofpsteinpflaster ein gutes Hinterrad zu erwischen. Da der kalte Wind den ganzen Tag von vorne bließ, wollte ich im Windschatten so viel Kräfte sparen wie möglich. Tasächlich hatte ich zu Anfang immer flotte Mitfahrer um mich. Schon auf den ersten Kopfsteinpflasterabschnitten spürte ich, das ich heute richtig Druck auf dem Pedal hatte. Ich konnte jedes Tempo mitgehen und glitt fast schwerelos über die Steine.
Der dritte Abschnitt Quiévy á Saint-Phython war mit 3,7 km und 4* Kategorie schon einer der längsten und schwerste Abschnitt des Tages. Ich kannte das endlose Pavés noch von meiner letztjährigen Teilnahme bei Paris-Roubaix-Cyclo. Diese Version der Veranstaltung findet alle zwei Jahre im Sommer statt. Ich teilte meine Kräfte also gut ein und ließ schnellere Fahrer ziehen, um sie zum Ende des Abschnitts doch wieder einzuholen. Das machte Spaß!
Von Tim war nichts mehr zu sehen. Er hatte natürlich noch keine Form und fuhr sein eigenes Tempo.
Bei Kilometer 43 war die erste Kontrolle. Es gab die gleiche Verpflegung wie am vergangenen Wochenende bei der Ronde van Vlaanderen. Kein Wunder, denn auch hier hieß der Veranstalter Golazo. Neben der Ronde und Paris-Roubaix gehört noch die Jedermannversion von Lüttich-Bastogen-Lüttich zur dieser neuen Skoda-Classics Serie, die in diesem Jahr zum ersten Mal veranstaltet wird.
Nachdem ich mir die üblichen Honigwaffeln und Müsliriegel genommen hatte, machte ich mich wieder frohen Mutes auf den Weg.
Ich freute mich auf jeden neuen Pavéabschnitt.
In den vergangenen Jahren hatte ich viel gelernt und Erfahrungen gesammelt. Ich hielt die Spannung im Oberkörper, der Lenker tanzte unter meinen halb geöffneten Händen, und ich brachte kraftvoll Zug auf das Hinterrad.
Ich näherte mich dem Wald von Arenberg. Von weitem sah ich schon den Förderturm eines Bergwerks nicht unweit des berühmten Pavés.
Die Kopfsteinpflasterpassagen sind nummeriert und werden rückwärts gezählt. Trouèe d’Arenberg ist der 16. Abschnitt. Insgesamt waren 27 zu bewältigen.
Bei der Sommerversion Paris-Roubaix-Cyclo gibt es eine Verpflegungskontrolle kurz vor dem Wald von Arenberg – genau an diesem Förderturm. Das bremste immer ein bischen aus. Bei der Challenge gibt es dort keine Verpflegung, und ich konnte diesmal mit Schwung in diesen fürchterlichen 5* Abschnitt fahren.
Wild verstreut lagen da die großen grauen Steine aufgehäuft vor mir rum.
Ich fuhr eng hinter einen scheinbar gut gelaunten Radfahrer. Immer wieder rief er irgendwas unverständliches und lachte vor sich hin. Ihm schien es wohl Spaß zu machen.
Entgegen meiner Gewohnheit verließ ich den vermeitlich besseren Mittelstreifen und fuhr rechts am Rand. Obwohl auch dort immer wieder seltsam aufrecht stehende Steine ein Vorankommen erschwerten. Manchmal waren die Fugen zwischen den Steinen so breit, das ich befürchtete, dort mit meinen Reifen stecken zu bleiben. Ständig klatsche die Kette gegen die Speichen. Der Wald von Arenberg wird wohl nie seinen Schrecken für mich verlieren.
Ich konnte dem strammen Tempo des gutgelaunten Teilnehmers aber weiter folgen. Zusammen erreichten wir den Ausgang dieses brutalen Abschnitts und bogen links auf die breite Hauptstrasse ab, um uns dort gleich unter ein paar flotten Fahrern einzureihen. Kurzzeitig gab es Rückenwind, und mit viel Tempo erreichten wir das nächste Kopfsteinpflaster. Mit 2* lächerlich einfach. Aber der Frohgelaunte mußte trotzdem reissen lassen. Eigentlich hatte ich mich über seine zügige Fahrweise schon gewundert. Einen besonders trainierten Eindruck machte er nämlich nicht.
Bei Kilometer 82 war die zweite Verpflegung. Die Hälfte der Strecke war schon geschafft.
Einige Teilnehmer hatten sich kleine Zettel auf das Oberrohr ihrer Rennräder geklebt auf denen die einzelnen Pavéabschnitte notiert waren. Ich wünschte mir manchmal auch diese Informationen. Ich hatte die Streckenbeschreibung am Abend vorher nur kurz überflogen. Ich ließ mich überraschen und nahm die Strecke einfach so wie sie kam.
Es folgten zwei weitere namenhafte Pavés, Orchies und Mons-en-Pèvéle.
Viele Tage hatte es in dieser Region nicht mehr geregnet und meist bedeckte eine lockere braungelbe Lehmschicht das Kopfsteinpflaster. Manchmal zogen vorbeifahrende Fahrzeuge eine dichte gelbe Staubwolke hinter sich her. Eigentlich waren Begleitwagen auf den Pavéabschnitten gar nicht erlaubt. Jedesmal mußte ich den aufwirbelnden Staub schlucken und manchmal verhinderten die Autos sogar die freie Fahrt, weil sie die Radfahrer auf den engen Wegen nicht überholen konnten. Das nervte manchmal. Aber so ähnlich muß sich wohl ein Radprofi fühlen, wenn er sich bei diesem irrsinnigen Rennen zwischen den zahlreichen Begleitwagen und Motorrädern aufhält.
Bei den Teilnehmern machte sich allgemeine Müdigkeit breit. Immer seltener hatte ich schnelle Fahrer um mich und mußte auf dem Kopfsteinpflaster alleine gegen den Wind kämpfen.
Ich näherte mich den Orten Cysoing und Templeuve, wo auch die letze Verpflegung war. Klangvolle Ortsnamen, die bei Paris-Roubaix das Finale ankündigen.
Nur noch 30 km.
Pavés No.7 Moulin-de-Vertain, 6 Cysoing á Bourghelles, 6 Bourghelles á Wannehain (zweigeteilt), 5 Camphin-en-Pévele und dann 2,1 km übelstes Kopfsteinpflaster am Carrefour de l’Arbre, der viertletzte Abschnitt. Ich wunderte mich über meine immer noch gute Verfassung. Ich konnte noch zulegen und flog förmlich über das 5* Pavés. Keine Ermüdung, keine Schmerzen- es war einfach perfekt. Ich konnte es sogar genießen.
Ich fuhr eine Linkskurve viel zu schnell an und mußte kurzzeitig aus dem Pedal. Ich konnte mich gerade noch abfangen und kam auf dem rüttelnden Untergrund mit meinen dicken Neoprenüberschuhen nur umständlich wieder in die Pedale. Ich verlor viel Schwung und mit einem dicken Gang beschleunigte ich nur schwerfällig. Dann fuhr ich die letzten Meter Kopfsteinpflaster mit viel Tempo hinauf zum Restaurant De l’Arbre. Geschafft.
Dort bog ich rechts auf die Hauptstraße ab, um kurz darauf wieder links ab in den nächsten Abschnitt, Pavés No3 Gruson, zu fahren
Hier hatte ich manchmal die Möglichkeit auf den mehr oder weniger gut aspahltierten Seitenstreifen auszuweichen. Aber es war fast besser auf dem Kopfsteinpflaster zu bleiben um sich dort weiter durchrütteln zu lassen. Ständig wechselte ich die Linie und kämpfte dabei gegen den kalten Gegenwind.
Dann wieder normale Straßen. Ich näherte mich dem bekannten Bahnübergang, der Tom Boonens Sieg vor einigen Jahren bei Paris-Roubaix verhindert hatte. Auch diesmal war die Schranke unten, aber sie öffnete sich gerade als ich mich ihr näherte. Glück gehabt !
Dann ging es über das letzte Pavés. Jetzt hatte ich auch wieder zwei Mitstreiter vor mir, an denen ich mich festbeißen konnte. Ich wunderte mich über deren hohes Tempo, aber zum Ende des Abschnitts wurden die Beiden wieder deutlich langsamer und ich ließ sie zurück.
Auf den letzten Kilometern war nur noch der Gegenwind mein Begleiter. Kurz vor dem Ziel nahm ich Tempo raus. Ich wollte die letzten Meter auf der Radbahn in Roubaix richtig genießen. Zum mittlerweile fünften Mal bog ich dann in das weite Radstadion.
Ich war nicht richtig erschöpft, hatte keine Schmerzen in den Gelenken – nichts! Ich hatte keine Defekte am Rad, keine Acht, noch nicht mal einen Platten.
Perfekter konnte es bei der Königin der Klassiker nicht laufen !
Nach einer Runde auf der Radrennbahn bekam jeder Teilnehmer eine Medaille umgehangen. Ich sah in viele glückliche Gesichter.
170 km mit fast 53 km Kopfsteinpflaster lagen hinter mir.
Zufrieden rollte ich mich mit dem Rad zurück ins Hotel. Ich liebe Paris-Roubaix !
Alles noch einmal komplett unter
http://virenque.blog.de/2013/04/17/paris-roubaix-challenge-15762533/
Axels Paris-Roubaix im Höhenprofil unter
http://www.endomondo.com/workouts/173708004/4107038